150 Jahre Sozialdemokratie in Schney - ein Spiegel der neueren deutschen Geschichte

Anläßlich der 150 Jahrfeier des SPD - Ortsverein - Schney

Betrachtungen von Reinhard Blechschmidt

150 Jahre Sozialdemokratie in Schney – ein Spiegel der neueren deutschen Geschichte

2021 wäre ein Festjahr für den SPD-Ortsverein Schney gewesen. Leider hat die Corona-Pandemie alle Planungen zunichte gemacht. 150 ereignisreiche Jahre mit vielen Höhepunkten, aber auch traumatischen Erlebnissen prägen die Geschichte dieses traditionsreichen und für den Ort Schney einflussreichen Vereins. Das Geschehen um die Schneyer SPD spiegelt zum großen Teil die Geschichte und Entwicklung Deutschlands wieder, ein Grund, um einmal in loser Reihenfolge die Geschichte dieses im Spätherbst 1871 gegründeten Vereins zu erzählen.

Man muss sich einmal die soziale Situation bei den Handwerkern, Korbflechtern, Porzellanarbeitern und Tagelöhnern Mitte des 19. Jahrhunderts vorstellen, um zu verstehen, wie es zur Gründung einer solchen Vereinigung gekommen ist. Die Lage der Arbeiter wurde immer unerträglicher. Nicht nur in den industrialisierten Zentren, auch in Regionen wie Franken versuchten Unternehmer auf raffinierte billigste Weise zu produzieren und Gewinne zu machen. Ein Mittel dafür war die Heimarbeit, gerade in der Korbwarenfabrikation, an der oft die ganze Familie beteiligt war. Aufgrund niedriger Löhne war in diesen Familien oft die Not Küchenmeister. Die Menschen in ihrer Verzweiflung wollten sich die Zustände nicht länger gefallen lassen. In ganz Deutschland und darüber hinaus rumorte es und die Idee des Sozialismus verbreitete sich rasch. Wandernde Handwerksburschen brachten diese Vorstellungen einer gerechteren und besseren Welt mit zurück in ihre Heimatgemeinden. So war das auch in Schney, wo Schmiedemeister Fritz Weber Kontakte zu verschiedenen Sozialdemokraten vermittelte, die dann auch vor Ort für ihre Ideen warben. Einige wenige Korbmacher und andere Handwerker begründeten in Folge im Spätherbst 1871 einen Arbeiterverein, der sich Krankenunterstützungsverein nannte, aus dem kurz danach der sozialdemokratische Wahlverein hervorging. Die Gründung dieser Vereine erwies sich im Ort und auch deutschlandweit als erfolgreiche politische Kraft, so erfolgreich, dass Reichskanzler Bismark als Vertreter der eher konservativen und reaktionären Elite die Notbremse zog. Durch die sogenannten Sozialistengesetze 1878 versuchte er alle sozialdemokratischen Verbindungen zu eliminieren. So wurden auch die Sozialdemokraten in Schney erstmals gezwungen im Untergrund zu agieren. Broschüren, Nachrichtenblätter oder Zeitungen mit entsprechendem Inhalt waren verboten und konnten nur heimlich verteilt und gelesen werden. In Schney wurden die Informationen auf konspirative Weise verteilt. Als Versteck dienten beispielsweise Geheimfächer in den Taubenschlägen. Treffen, wie zum Beispiel die Maifeiern, mussten heimlich organisiert werden. Die Schneyer Sozialdemokraten zeigten viel Mut und Pfiffigkeit, um die Restriktionen zu umgehen. Wenn das Wort „Schney“ fiel, reagierte die Obrigkeit oft sehr nervös. Einmal brachten die Schneyer Sozis anlässlich einer Maifeier rote Tücher und rotgefärbte Säcke zum Zeichen ihrer Solidarität sehr hoch in den Bäumen an. Da mussten dann die Lichtenfelser Gendarmen hochklettern, um sie zu entfernen, beobachtet und kommentiert von feixenden Schneyer Sozialdemokraten.

Eine weitere Geschichte war charakteristisch für diese überaus engagierten, politisch denkenden und handelnden einfachen Bürger. Um wählen zu können, musste man in diesen Zeiten das Bürgerrecht besitzen. Man konnte sich dieses Bürgerrecht zwar erkaufen, aber das war zum Beispiel für einen einfachen Korbmacher nicht zu leisten.

Korbmacherfamilie
Eine Schneier Korbmacher-Haimarbeiter-Familie im Jahre 1910

Deshalb gründete man den „Verein zur Erwerbung des Bürgerrechts“. Man kassierte von den Mitgliedern wöchentlich einen „Nickel“, das waren 10 Pfennige, für jeden, der sich daran beteiligte immer noch eine größere Ausgabe. Auf diese Art und Weise kam jedoch so viel Geld zusammen, dass der Verein im Dezember 1912 für 70 seiner Mitglieder zur anstehenden Gemeindewahl das Bürgerrecht erwerben konnte. Mit Hilfe dieser „Nickelbürger“ wurde diese zu einem vollen Erfolg für die Sozialdemokraten, die sogar ab Januar 1913 die absolute Mehrheit im Gemeinderat stellten.

Mitglieder aus der Frühzeit SPD-Ortsverein-Schney
Mitglieder aus der Frühzeit des SPD-Ortsvereins Schney(vorne v. li.) Willhelm Fugmann, Andreas Diets, Nikolaus Förtsch, Josef Mahr, Wilhelm Hirsch (hinten v. l.) Pankraz Kolb, Adam Eber, Konrad Wtzgall,Georg Dietz, Kaspar Herold und Andreas Scheller.

Der 1. Weltkrieg (1914-1918) war ein tiefer Einschnitt in die politische und gesellschaftliche Situation in Deutschland. Es war schwierig an die alten Traditionen anzuknüpfen. Dennoch gelang es auch in der Nachkriegszeit immer die Mehrheit im Gemeinderat zu erringen und die Kommunalpolitik sozialdemokratisch zu prägen. Zunehmend wurde jedoch auch der Riss deutlich, der in der sogenannten Weimarer Republik durch die Gesellschaft ging und auch auf kommunaler Ebene fanden harte Auseinander-setzungen statt, vor allem zwischen den Sozialdemokraten und der extremen Rechten.

Der Kampf um die Demokratie

150jährigen Geschichte der Schneyer SPD – vom Ende der Weimarer Republik bis zum Neuanfang 1945

Stolz und selbstbewusst dominierte die Schneyer SPD nach dem 1. Weltkrieg das politische Geschehen im Ort. Sie stellte durchgehend die Mehrheit im Gemeinderat und den Bürgermeister. Andreas Scheller wurde 1925 mit großer Mehrheit gewählt und behielt dieses Amt bis 1933. Ein Ereignis gegen Ende der Weimarer Republik zeigte, wie hart die Auseinandersetzungen mit den extremen Rechten wurden. Diese Geschichte ging als die „Schneyer Saalschlacht“ in die Parteiannalen der Schneyer SPD ein. 1929 rückten die Nazis mit 100 ortsfremden SA-Schlägern und dem berüchtigten Parteiredner Hans Schemm aus Bayreuth an, um im Stammbergersaal gegen die erfolgreiche SPD zu hetzen. Die Schneyer Sozialdemokraten waren ebenfalls im Saal in stattlicher Anzahl vertreten. Sie wollten die Rechten in eine Diskussion verwickeln, was diese mit allerlei Tricks und Finessen zu verhindern versuchten. Als die Sozis bei dieser Entwicklung den Saal verlassen wollten, wurde ihnen hinterher gerufen, sie seien feige. Ein Wort gab das andere und schließlich entwickelte sich daraus eine veritable Saalschlacht, bei der die Schneyer die Nazis vertrieben. Am Ende blieben einige Verletzte auf der Kampfstätte und ein zertrümmerter Saal. Einige der beteiligten Sozialdemokraten erhielten Anzeigen, wurden aber durch ein Berufungsgericht freigesprochen.

Turnhalle 1929
Die Turnhalle der Freien Turnerschaft Schney wurde 1929 mit viel Eigenleistung der Mitglieder erbaut, bot Unterkunft für die Schneyer Arbeiter-Organisationen, wurde  1933 von den Nazis beschlagnahmt und von der SA genutzt.

Natürlich versuchten bei der Wahl 1929 rechtsgerichtete Kreise in Kumpanei mit den immer stärker werdenden Nationalsozialisten die Vormacht der SPD zu brechen, was aber nicht gelang. Die Solidarität der Sozialdemokraten untereinander und die gute Kommunalpolitik des Bürgermeisters Scheller trugen sicher zu diesem Wahlerfolg bei.

Bürgermeister Scheller
Bürgermeister Scheller 1925-1933. Schwerpunkt seiner kommunalen Arbeit war die Wasserversorgung in Schney mit einer Pumpanlage im Schneitruff und einem        Hochbehälter   in Stöcken, sowie die Elektrifizierung und der Straßenbau.

Die letzte freie Gemeinderatswahl fand am 22. April 1933 statt. Trotz Drohungen und horrendem Druck seitens der nun in Deutschland herrschenden NSDAP stellten die Sozialdemokraten sowohl mit dem 1.Bürgermeister Fritz Eberth als auch 6 Gemeinderäten die Mehrheit in dem kommunalen Gremium.

Bürgermeister Eberth
Bürgermeister Eberth, wurde 1933 gewählt, aber von den Nazis abgesetzt. 1945 wurde er von den Amerikanern kommissarisch als Bürgermeister eingesetzt, 1946 gewählt war er bis 1966 Bürgermeister der Gemeinde Schney.

Der Schneyer Ortsgruppenleiter der NSDAP beklagte sich in einem Bericht über das aufmüpfige „marxistische“ Dorf Schney. Die „Quittung“ bekamen die Sozialdemokraten schnell. Noch im April 1933 wurde das Wahlergebnis „korrigiert“. Die Kreisleitung der NSDAP Lichtenfels setzte einen ihrer Gefolgsleute als Bürgermeister ein und sieben Schneyer Sozialdemokraten wanderten in ein Konzentrationslager oder in das Gefängnis. Darunter waren Männer wie Konrad Witzgall, Johann Barth, Fritz Eberth, Heinrich Gärtner und Willy Hauffe. Auch der 67jährige Landtagsabgeordnete Wilhelm Hirsch wurde unter Druck gesetzt. Die Verfolgungen gingen nun immer weiter und wurden verschärft. Das NS-Regime zeigte immer offener seine diktatorische Fratze. Die Sozialdemokratische Partei, die natürlich wie alle anderen Parteien verboten wurde, musste nun zum zweiten Mal in ihrer Geschichte in den Untergrund gehen. Die Gleichschaltung, was nichts anderes bedeutete als die Ausrichtung der ganzen Gesellschaft auf den nationalsozialistischen Staat hin, machte sich auch in Schney bemerkbar. Das hatte zum Beispiel zur Folge, dass Organisationen, die der SPD nahe standen, aufgelöst wurden und dass deren Vermögen an den Staat bzw. an NS-Organisationen überging. Das betraf den Arbeitergesangverein ebenso wie den Arbeiter-Radfahrerverein, die Freie Turnerschaft, die Konsum-genossenschaft, sowie die Gewerkschaft. Vor allem die jungen Sozialisten kämpften im Untergrund auf konspirative Weise weiter für ihre Sache. Ein ausgeklügeltes Warnsystem verhinderte, dass man ihrer habhaft wurde, wenn wieder einmal aus dem Ausland geliefertes Material verteilt wurde. Ein Schneyer SPD-Mitglied, der damals an diesen gefährlichen Aktionen beteiligt war, erzählte einmal, dass beispielsweise ein offener oder geschlossener Vorhang signalisierte, ob Gefahr bestand oder nicht. Natürlich konnten unter diesen Bedingungen die Parteistrukturen kaum aufrecht erhalten werden und so erforderte die Zeit nach dem 2. Weltkrieg und dem Zusammenbruch des NS-Regimes einen echten Neubeginn. Die Amerikaner, die 1945 auch Schney „eroberten“, setzten Fritz Eberth kommissarisch als Bürgermeister ein. Er übernahm das Amt unter extrem schwierigen Bedingungen, die Verbindung nach Lichtenfels war durch die Zerstörung der Mainbrücken unterbrochen, Heimat-vertriebene strömten auch nach Schney, es fehlte an Kleidung, Brennmaterial, Möbeln, Räumen und vielem mehr. Fritz Eberth wurde 1946 mit überwältigender Mehrheit gewählt und auch die SPD fand in Schney zu alter Stärke zurück.

Reinhard Blechschmidt, Am Brand 35, 96215 Lichtenfels